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Archiv für Systematische Philosophie

Lebenslauf   Kurzdarstellung   Werke   Literaturhinweise
   

Jonas Cohn

Jonas CohnLebenslauf

Geboren am 2. Dezember 1869 in Görlitz
1888 Studium der Biologie, später auch Philosophie und Pädagogik in Leipzig, Heidelberg und Berlin
1892 Promotion in Systematische Botanik an der Universität Berlin
1892 bis 1894 wissensch. Mitarbeiter im Laboratorium von W. Wundt in Leipzig
1894 Habilitation  für Philosophie und Pädagogik in Freiburg
1901 apl. ao. Professur für Philosophie und Psychologie Univ. Freiburg
1919 planmäßige ao. Prof. für Philosophie und Pädagogik
1933 Zwangspensionierung
1939 Emigration nach England
Gestorben am 12. Januar 1947 in Birmingham


 

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Kurzdarstellung

"Man hatte bei wenigen Denkern unserer Zeit so den Eindruck des weisen, gerechten und aufgeschlossenen Menschen, wie bei ihm. Als ein Gegensätze versöhnender, den Extremen sich fernhaltender Denker war er das Gegenteil eines philosophischen Parteimannes. Der Einbruch das Propagandismus, für unsere Epoche auch in Wissenschaft und Philosophie charakteristisch, ließ ihn unberührt. Eine nichtpolemische Positivität goethischer Prägung blieb sein Ideal [...].
Das soeben charakterisierte Temperament J. Cohns prägte sich in zwei eng miteinander verflochtenen Grundsätzen aus, die bei ihm einen fast bekenntnishaften Charakter haben: die Prävalenz des Positiven und der Utraquismus.  Der erstgenannte Grundsatz formuliert das Postulat, daß im philosophischen erkennen kein gegebener Inhalt unterdrückt, wegkonstruiert und gleichsam unterschlagen werden darf. Utraquismus bedeutet, daß beides: die Form des Denkens und der relativ denkfremde Inhalt als gleich ursprüngliche konstitutive Elemente des Erkennens jeder Art, der Tatsachen- wie der Werterkenntnis, angesehen werden müssen. Der Utraquismus macht diese Philosophie dialektisch, die Prävalenz des Positiven legt dieser Dialektik kritische Bremsen an. [...]
Die Prävalenz des Positiven ist selbst bereits Ausdruck des Utraquismus und grenzt dessen Dialektik von einer Dialektik in Hegelscher Form ab. Jener Grundsatz hält die Wacht gegenüber einer schöpferischen Kraft der Negation. Es lassen sich keine neuen Inhalte durch Negation der Negation erzeugen, auch keine neuen zentralen Kategorien. Auch diese müssen vielmehr durch ihre Angepaßtheit an gegebene Elemente sich ausweisen. Der Einfluß der Phänomenologie auf solche Gedankengänge ist leicht erkennbar. Es ist nicht 'Kriteriumsscheu', wenn dasjenige, dessen einziges Kriterium in Gegebenheit besteht, aufweisend hingenommen und nicht aus Prämissen abgeleitet wird.
Cohns in seiner >Theorie der Dialektik< entwickelte, in seiner >Wertwissenschaft< als Grundlage eines Systems benutzte kritische Dialektik bringt in diesen Problemkomplex größere 'Pünktlichkeit', indem sie einige der anstößigsten Elemente der Hegelschen Dialektik ausschaltet. [...] So wird im Gegensatz zu Hegel der Widerspruch vom schlicht logischen empirischen Denken ferngehalten, dieses wird nicht von ihm infiziert, d.h. aber: nicht alle Gedankengänge sind dialektisch. Auch bei dialektischen Gedankengängen ist das Negative nicht im Hegelschen Sinne aufgehoben, es ist überwunden, wenn auch der Durchgang durch seine Rolle aufweisbar bleibt. M.a.W., die dialektischen Gedankengänge J. Cohns sind nicht eigentlich spekulativ: sie führen nicht ein Absolutes und Vollkommenes ein, das sich aus den Falschheiten und Unvollkommenheiten des Endlichen nähren und so die Endlichkeit notwendigerweise mit Falschheit gleichsetzen, verurteilen und verzehren muß. [...]
Der Typus des nachhegelschen Philosophierens setzt sich auf der ganzen Linie durch. Aller Finitismus wird ausgeschaltet, und das dialektische Prinzip der Unabgeschlossenheit auch gegen Hegel selbst zur Durchführung gebracht. Vollendete Synthesis bleibt unerreichbar, das System bleibt im Werden [...]. Auch der Bereich der Formen selbst kann nicht geschlossen bleiben, wenn die Inhalte im Fluß sind. Zu solchen erwägungen tritt der Unterschied zwischen dem System der Sache und dem der Darstellung hinzu. Kein System der Darstellung erschöpft das System der Sache selbst. Indem Hegel das Gegenteil annahm, schuf er die bekannten Interpretationsschwierigkeiten in bezug auf zeitliche und gedankliche, metaphysische und historische Entwicklung. Denn alle sprachliche Darstellung muß der Eindimensionalität des Zeitablaufs gehorchen, während das System der Sache selbst vieldimensional ist. Ein weiteres dialektisches Motiv erscheint in der Behandlung des Ich. Im Erkennen muß es vergegenständlicht werden, und solche unvermeidliche Vergegenständlichung ist gleichbedeutend mit seiner Denaturierung. Die Philosophie hat es mit dem Ganzen des Universums der Tatsachen und Werte zu tun. Der Philosophierende sucht dieses sich gegenüberzustellen, es zu objektivieren. Aber da das Ganze das erkennende Ich mit einschließt, kommt in den Gegenstand des Erkennens selbst das Element der dialektischen Spannung hinein. Vollendete erkenntnis, die den Bezug auf das Ich ausgeschaltet hätte, die in Korrelation stände zu einem nur konstruierten überindividuellen Ich, bleibt ein anzustrebendes, doch widerspruchsvolles Ideal für den wirklichen Erkenntnisvollzug."

aus: Siegfried Marck, Am Ausgang des jüngeren Neukantianismus. Ein Gedenkblatt für Richard Hönigswald und Jonas Cohn, Archiv für Philosophie 3/1949, S. 144-164.


 
 


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Bibliographie 


Jonas Cohn. Primär- und Sekundärliteratur aus dem Zeitraum von 1892-1986 (Mitteilungen aus dem Jonas Cohn-Archiv, Universität Duisburg, Erziehungswissenschaft. Herausgegeben von Dieter-Jürgen Löwisch. Nr. 2), Duisburg 1986.


Geschichte des Unendlichkeitsproblems im abendländischen Denken bis Kant, Leipzig 1896 [Nachdruck: Darmstadt 1960].

Beiträge zur Lehre von den Wertungen. Habilitationsschrift der Philosophischen Fakultät zu Freiburg im Breisgau. Sonderabdruck aus: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik 110/1897, S. 219-262.

Allgemeine Ästhetik, Leipzig 1901.

Psychologische oder kritische Begründung der Ästhetik?, in: Archiv für Philosophie 10/1904, S. 131-159.

Führende Denker. Geschichtliche Einleitung in die Philosophie (Aus Natur und Geisteswelt. Sammlung wissenschaftlich-gemeinverständlicher Darstellungen, Bd. 176), Leipzig 1907, Leipzig-Berlin 21911, 31917, 41921, 51928.

Voraussetzungen und Ziele des Erkennens. Untersuchungen über die Grundfragen der Logik, Leipzig 1908.

Der Sinn der gegenwärtigen Kultur. Ein philosophischer Versuch, Leipzig 1914.

Religion und Kulturwerte (Philosophische Vorträge. Veröffentlicht von der Kantgesellschaft. Nr. 6), Berlin 1914.

Geist der Erziehung. Pädagogik auf philosophischer Grundlage, Leipzig 1919.

Jonas Cohn [Selbstdarstellung], in: Die deutsche Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Hg. von Raymund Schmidt., 2. Band, Leipzig 1921, S. 61-80.

Die Erkenntnis der Werte und das Vorrecht der Bejahung. Betrachtungen, angeknüpft an Max Webers Lehre von der Wertfreiheit der Wissenschaft, in: Logos 10/1921-22, S. 195-226.

Theorie der Dialektik. Formenlehre der Philosophie, Leipzig 1923 [Nachdruck: Darmstadt 1965].

Der deutsche Idealismus (Aus Natur und Geisteswelt, Bd. 746), Leipzig-Berlin 1923

Die Philosophie im Zeitalter des Spezialismus (Aus Natur und Geisteswelt, Bd. 747), Leipzig-Berlin 1925.

Befreien und Binden. Zeitfragen der Erziehung überzeitlich betrachtet, Leipzig 1926.

Erlebnis, Wirklichkeit und Unwirkliches, in: Logos 15/1926, S. 194-221.

Zu Nicolai Hartmanns Ethik. Versuch kritischer Mitarbeit, in: Logos 16/1927, S. 211-240.

Wertwissenschaft, Stuttgart 1932.

Kritische Bemerkungen zur neupositivistischen Erkenntnislehre, namentlich zu der Carnaps (Methodenmonismus und Problemabweisung), in: Philosophische Hefte 5/1936, S. 51-74.

‚Ich denke‘ und ‚Es denkt‘. Untersuchungen an spontanen Denkverläufen über die Struktur des Seelenlebens, in: Acta Psychologica, Bd. II, The Hague 1936, S. 1-75.

Wirklichkeit als Aufgabe. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Jürgen von Kempski, Stuttgart o.J. [1955].

Vom Sinn der Erziehung. Ausgewählte Texte. Besorgt von Dieter-Jürgen Löwisch (Schöninghs Sammlung pädagogischer Schriften. Quellen zur historischen, empirischen und vergleichenden Erziehungswissenschaft), Paderborn 1970;

Selbst-Überschreitung. Grundzüge der Ethik – entworfen aus der Perspektive der Gegenwart. Aus dem Nachlaß hg. von Dieter-Jürgen Löwisch (Paideia. Studien zur systematischen Pädagogik. Band 4), Frankfurt am Main u.a. 1986.

---, Der Briefwechsel zwischen William Stern und Jonas Cohn. Dokumente einer Freundschaft zwischen zwei Wissenschaftlern. Hg. von Helmut E. Lück und Dieter-Jürgen Löwisch (Beiträge zur Geschichte der Psychologie. Band 7), Frankfurt am Main-Berlin 1994.




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Literaturhinweise 
 

E. Cassirer, Rezension zu: Jonas Cohn: Voraussetzungen und Ziele des Erkennens, Leipzig 1908, in: Deutsche Literaturzeitung 31/1910, Sp. 2437-2445.

M. Heitmann, Jonas Cohn (1869-1947). Das Problem der unendlichen Aufgabe in Wissenschaft und Religion, Hildesheim-Zürich-New York 1999.

I. Idalovichi: Dialektisches Denken innerhalb des Neukantianismus. Kritische Untersuchung zu Jonas Cohns dialektischer Philosophie, Diss. phil. Heidelberg 1981.

J. v. Kempski, Nachwort zu J. Cohn, Wirklichkeit als Aufgabe, Stuttgart o.J. [1955], S. 353-362.

R. Klockenbusch, Husserl und Cohn. Widerspruch, Reflexion und Telos in Phänomenologie und Dialektik (Phaenomenologica. Band 117), Dordrecht-Boston-London 1989.

H. Levy, Die Hegel-Renaissance in der deutschen Philosophie mit beson­derer Berücksichtigung des Neukantianismus, Charlottenburg 1927.

D.-J. Löwisch, Zu Leben und Werk von Jonas Cohn, in: Der Briefwechsel zwischen William Stern und Jonas Cohn, Frankfurt am Main-Berlin 1994, S.199-208.
---, Jonas Cohn, in: W. Fischer, D.-J. Löwisch (Hg.), Philosophen als Pädagogen, Darmstadt (2. erg. Aufl.) 1998, S. 256-257.

S. Marck, Die Dialektik in der Philosophie der Gegenwart, 2. Hbd., Tübingen 1931.
---, Am Ausgang des jüngeren Neukantianismus. Ein Gedenkblatt für Richard Hönigswald und Jonas Cohn, in: Archiv für Philosophie 3/1949. Wiederabdruck in: H.-L. Ollig (Hg.), Materialien zur Neukantianismus-Diskussion, Darmstadt 1987

A. Model, ‚Ich‘ und ‚Selbst‘. Zur Auseinandersetzung Jonas Cohns mit der Denkpsychologie Richard Hönigswalds, in: W. Schmied-Kowarzik (Hg.), Erkennen – Monas – Sprache, Würzburg 1997, S. 145-158.

W. Ritzel, Philosophie und Pädagogik im 20. Jahrhundert, Darmstadt 1980.


A. Schäfer, Aufklärung und Verdinglichung, Fft/M 1988.

---, Halbierte Desillusionierung. Jonas Cohns ‚Theorie der Dialektik‘, in: J. Oelkers, W. K. Schulz, H.-E. Tenorth (Hg.), Neukantianismus. Kulturtheorie, Pädagogik und Philosophie, Weinheim 1989, 327-350.

E. Troeltsch, Eine Kulturphilosophie des bürgerlichen Liberalismus, in: Preußische Jahrbücher 165/1916, S. 353-377.



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